Ein geistliches Wort zum Umgang mit der Coronapandemie

Am Novembervormittag klingelt das Telefon. Nach einer Absprache sagt mir die Person, dass sie die ganzen Maßnahmen zur Eindämmung der Coronapandemie für völlig überzogen hält. Unsere Freiheitsrechte würden stark eingeschränkt. Es werde unnötig schlechtes Gewissen gemacht und Angst verbreitet.

Nach ein paar Minuten klingelt das Telefon erneut. Eine andere Stimme. Die Person bittet eindringlich auf bestimmte kirchliche Angebote erst einmal zu verzichten. Das Risiko sich anzustecken sei zu groß. Viele Menschen vor Ort seien schon in Quarantäne.

Zwei Meinungen, die unterschiedlicher kaum sein können. Hier die Angst zu leichtfertig auf unsere Freiheiten zu verzichten. Dort die Sorge, die Lage nicht ernst genug zu nehmen und dabei aus einer falschen Freiheit heraus mit der Gefahr zu spielen. Beides ist nachvollziehbar.

Aber wie können wir mit der Coronapandemie und all den Maßnahmen umgehen? Und zwar so, dass wir gut miteinander auskommen, aber auch mit uns selbst im Reinen sind?

Ich suche eine Antwort bei dem Apostel Paulus. Oft ist er auf seinen Missionsreisen mit ähnlichen Konflikten in den Gemeinden konfrontiert. An konkreten Fragen scheiden sich die Geister. Während die einen sich frei fühlen und frei handeln, fühlen die anderen sich gebunden und tun bestimmtes nicht. Beide haben gute Gründe für ihre Haltung (1. Korinther 8,1-13).

Damals wie heute bleibt die Frage, wie wir im Konflikt mit unserer Freiheit umgehen: Lasse ich meine Freiheit zu sehr beschränken oder bringe ich mit der Freiheit, die ich mir nehme, andere in Not?

Paulus beginnt seine Überlegung folgendermaßen: „,Wir alle wissen doch in dieser Sache Bescheid‘, sagt ihr, und damit habt ihr sicher Recht. Aber bloßes Wissen macht überheblich.“ (Vers 1 Neue Genfer Übersetzung)

Mit „Wissen“ ist auch die eigene Meinung gemeint, nach der wir handeln. Je nach dem gehen uns unterschiedliche Gedanken durch Kopf und Herz, wenn wir Menschen im Geschäft begegnen ohne Masken oder andere weit Abstand von uns halten. Schnell sind wir dabei, uns durch den Umgang anderer mit den Coronaschutzmaßnahmen persönlich herausgefordert zu fühlen. Und schnell kann man überheblich werden: „Was der hat! Der soll sich entspannen!“ Oder: „Merkt die es nicht? Das ist leichtsinnig, so rücksichtslos wie sie sich verhält!“

Aber so kommen wir nicht weiter, sagt Paulus: „Was uns wirklich voranbringt, ist die Liebe.“ (Vers 1) Nicht die eigene Meinung soll unser Denken und Handeln bestimmen, sondern was die oder der andere gerade jetzt braucht. Es braucht eine neue Freiheit, nämlich zugleich zu mir stehen zu können, aber auch auf den anderen einzugehen. Aber woher bekomme ich diese innere Freiheit? Paulus sagt: „Wer Gott liebt, weiß, dass Gott ihn kennt und liebt.“ (Vers 3) Die eigene Meinung und Einstellung sind Gott wertvoll und wichtig. Wenn wir uns also bei Gott geborgen und verstanden wissen, können wir anderen Raum geben. Von Gott innerlich gehalten, können wir unverkrampft zu uns stehen und auch andere stehen lassen, ohne sie zu verurteilen oder zu etwas zu zwingen, was sie nicht möchten.

Wer so innerlich frei ist und denen der Schutz vor Corona persönlich wichtig ist, kann andere gelassen bitten, sich in meiner Gegenwart an die Regeln zu halten. Gott schenkt mir die Freiheit dazu.

Und derjenige, der mehr Freiheit im Umgang mit dem Virus hat, kann sich trotzdem daran halten. Aus Rücksicht auf diejenigen, denen etwas daran gelegen ist. Gott schenkt mir die Freiheit dazu.

Aber es kann nicht mehr darum gehen, auf Prinzipien zu pochen, und die Einhaltung der Maßnahmen durchsetzen zu wollen, wenn es mich nicht betrifft oder nicht in meine Verantwortung fällt. Und andererseits kann es auch nicht mehr darum gehen, Menschen, denen der Schutz vor dem Virus wichtig ist, durch mein Verhalten vor den Kopf zu stoßen. Und schließlich kann es auch nicht darum gehen – wenn wieder neue Nachrichten die eine oder andere Sichtweise bestärken – mit dem Finger zu zeigen. Das bringt uns nicht zusammen und es hilft nicht sich zu verstehen. Paulus würde sagen: Das ist lieblos.

Allerdings wird hier deutlich, dass die Vorsichtigen eher berücksichtigt werden. Ja. Aber es geht hier um die konkrete Situation, die spontane oder notwendige Begegnung in der Öffentlichkeit, im Geschäft, auf Arbeit oder im Privaten. Genauso unerlässlich bleibt auch der Austausch über die verschiedenen Sichtweisen, Argumenten und Meinungen. Wir müssen uns verständigen, hoffentlich auch einigen! Doch das braucht einen geeigneten Rahmen, bei dem sich alle auf einen Austausch einlassen können. Pfr. Pohle