„Ein alltägliches Wort“

Liebe Leser des Gemeindebriefes.
Manchmal stößt man auf Worte unserer Alltagssprache und fühlt sich eingeladen oder gar genötigt, über Sinn und Bedeutung eines solchen Wortes tiefer nachzudenken. Mir geht es gerade mit dem Wort GEWISSEN so.
Obwohl in meiner Bibel dieses Wort relativ spät (auf Seite 493) zum ersten mal auftaucht, finde ich es in unausgesprochener Form schon viel früher, in der wunderbaren Geschichte von Adam, Eva, Gott und der Schlange. Da wird dem Paar dringend geboten, nicht vom BAUM DER ERKENNTNIS zu essen! Aber es kam, was kommen musste. Dem Ratschlag der Schlange folgend wurde eben doch vom Baum genascht, die Augen der Menschen waren nun geöffnet, zu unterscheiden zwischen GUT und BÖSE. Das Unheil nahm seinen Lauf – bis heute. Wie schön könnte unser Leben sein! Hätte es doch diesen fatalen Vorfall im Paradies nie gegeben!
Aber ERKENNTNIS bringt WISSEN mit sich. So sind wir alle zu WISSENDEN und MITWISSERN geworden und haben nun – ob wir wollen oder nicht – ein GEWISSEN! Zugegeben: das ist mitunter eine echte Last und ich beneide manchmal die sorglosen, “gewissenlosen“ Tiere, die einfach ihrem gottgegebenen Instinkt folgen dürfen.
Was sind das für Dinge, die unser Gewissen rühren? Eine offensichtliche Ungerechtigkeit? Die freundliche Mahnung eines wohl-wollenden Mitmenschen? Eine Predigt? Bilder von hungernden Kindern? Eine eigene Untat, die lieber nicht ans Licht kommen sollte? Das beherzte Handeln eines Anderen, der etwas tut, was ich eigentlich auch tun sollte, mich aber nicht traue? Der unsympathische Typ, der mir mit seiner Existenz einen Spiegel vorhält?
All das hat bei mir schon irgendwann einmal ins “Schwarze“ getroffen. Doch es gibt etwas, das kommt – ich weiß nicht recht warum – immer wieder. Ein Gedicht, das ich als ca.13-jähriger Schüler gelernt habe, pikst mir regelmäßig ins Gewissen.
Hier ist es. Und es ist wie immer und zu allen Zeiten brandaktuell:
„Ferientag eines Unpolitischen“
Der Postbeamte Emil Pelle
hat eine Laubenlandparzelle,
wo er nach Feierabend gräbt
und auch die Urlaubszeit verlebt.
Ein Sommerläubchen mit Tapete,
ein Stallgebäude, Blumenbeete.
Hübsch eingefasst mit frischem Kies,
sind Pelles Sommerparadies.
Zwar ist das Paradies recht enge
mit fünfzehn Meter Seitenlänge;
doch pflanzt er seinen Blumenpott
so würdig wie der liebe Gott.
Im Hintergrund der lausch’gen Laube
kampieren Huhn, Kanin und Taube
und liefern hochprozentgen Mist,
der für die Beete nutzbar ist.
Frühmorgens schweift er durchs Gelände
und füttert seine Viehbestände.
Dann polkt er am Gemüsebeet,
wo er Diverses ausgesät.
Dann hält er auf dem Klappgestühle
sein Mittagsschläfchen in der Kühle.
Und nachmittags, so gegen drei,
kommt die Kaninchenzüchterei.
Auf einem Bänkchen unter Eichen,
die noch nicht ganz darüber reichen,
sitzt er, bis dass die Sonne sinkt,
wobei er seinen Kaffee trinkt.
Und friedlich in der Abendröte
beplätschert er die Blumenbeete
und macht die Hühnerklappe zu.
Dann kommt die Feierabendruh.
Er denkt: Was kann mich noch gefährden!
Hier ist mein Himmel auf der Erden!
Ach, so ein Abend mit Musik,
da braucht man keine Politik!
Die wirkt nur störend in den Ferien,
wozu sind denn die Ministerien?
Die sind doch dafür angestellt,
und noch dazu für unser Geld.
Ein jeder hat sein Glück zu zimmern.
Was soll ich mich um andre kümmern?
Und friedlich wie ein Patriarch,
beginnt Herr Pelle seinen Schnarch.“

Dieses Gedicht schrieb Erich Weinert im Jahr 1930. Knapp drei Jahre später kam Hitler an die Macht.
Vielleicht treibt auch Sie manchmal die Frage um: Welchen Stellenwert hat Politik im Rahmen des christlichen Glaubens?
Als Anregung möchte ich uns noch zwei Zitate mitgeben:
„…Auch Christen sollen sich nicht aus der Pflicht stehlen, ihrerseits eine politische Ethik zu formulieren, die mit den ethischen Werten in der biblischen Offenbarung übereinstimmt. Diese Werte sollen das öffentliche Leben durchdringen, wie Hefe den Teig…“
(Dr. Renè Padilla, Lateinamerikanischer Theologe und Pastor).
„….Zu den politischen Institutionen seiner Zeit äußert Jesus nur verhüllte Kritik, entwickelt aber Strategien gewaltfreien Widerstands. Jesu Schülergruppe selbst erscheint als Gegen-Gesellschaft zu den soziopolitischen Verhältnissen. …“
(Stefan Schreiber, „Der politische Jesus“, Münchener Theologische Zeitschrift)
Nehmen wir diese Denkanstöße ruhig mit in den Garten, um zwischen Blumen und Radieschen alles im
Herzen zu bewegen.
Frohe, gesegnete Sommerwochen wünscht
Kantor Christian Domke.