Andacht 1. Sonntag nach Trinitatis (14.6. 2020)

Liebe Gemeinde, liebe Leser,
vielleicht haben Sie die folgende kleine
Geschichte so, oder so ähnlich schon
einmal gehört.
Ein Lehrer versucht ein Mädchen – das
einzige der Klasse, dass die Christenlehre
besucht – vor ihren Mitschülern
etwas bloßzustellen und sagt: “Ich
gebe dir 5 Mark, wenn du mir sagst,
wo Gott ist!“
Darauf antwortet das Mädchen nach
kurzem Überlegen: “Und ich gebe
Ihnen 500 Mark, wenn sie mir sagen,
wo Gott nicht ist!“
Ob diese Szene sich wirklich so zugetragen
hat, ist mir eigentlich egal –
wahr ist sie für mich allemal.
Die Frage, wo Gott wirklich steckt, ob
er uns sieht, und wie wir ihn erleben
und für uns “dingfest“ machen können,
bewegt uns Menschen wohl
schon immer, und immer wieder.
“Bin ich nur ein Gott, der nahe ist,
spricht der Herr, und nicht auch ein
Gott, der ferne ist? Meinst du, dass
sich jemand so heimlich verbergen
könne, dass ich ihn nicht sähe? spricht
der Herr. Bin ich es nicht, der Himmel
und Erde erfüllt? Spricht der Herr.
( Jeremia 23, 23+24 )
Diese beiden Verse sind “Kernsätze“
aus der alttestamentlichen Lesung für
den 1. So. nach Trinitatis.
Ob diese Worte auf mich tröstlich oder
beängstigend wirken, hängt nicht unwesentlich
davon ab, welche Gottesbilder
und Glaubenssätze ich im Laufe
meines Lebens verinnerlicht habe.
Das ist manchmal auch eine Sache der
Erziehung – also die Frage danach,
was uns in die “Wiege“ gelegt worden
ist.
Aber nicht nur das. Wir alle sind eingeladen,
auch in Glaubenssachen immer
wieder das Übernommene für uns zu
prüfen und zu entwickeln.
Ich erinnere mich deutlich an ein
Gleichnis, das meine Mutter mir mit
auf den Weg gegeben hat. Sie erzählte
mir von der berühmten “Gläsernen
Frau“, die es im Dresdner Hygienemuseum
zu bestaunen gibt. Bei ihr könne
man alle inneren Organe, Muskeln und
Knochen sehen, und genau so sehe sie
sich selber in Beziehung zu Gott.
Alles liegt vor ihm offen, das Gesunde
und das Kranke, Stärken und Schwächen.
Muss man Gott also noch irgendwas
erklären, sich rechtfertigen,
sich vor ihm ins rechte Licht rücken?
Für dieses Bild von Gott bin ich meiner
Mutter sehr dankbar und habe es für
mein Leben übernommen und
“weiterentwickelt“ – Gott ist also überall,
er sieht das Verborgene, kennt alle
meine Gedanken, ist in mir.
Bei dieser Vorstellung breitet sich in
mir keine Angst, sondern ein warmes
Geborgenheitsgefühl aus. Was mir nun
noch bliebe, wäre vielleicht das:
Alles,was Gott längst von mir weiß und
angenommen hat, selbst anzunehmen!
Das ist zuweilen nicht leicht, gelingt
aber besser, wenn ich Gott an meiner
Seite weiß.
Ich möchte Sie alle einladen, die 1.
Strophe des Wochenliedes zu meditieren:
Von Gott will ich nicht lassen, denn er
lässt nicht von mir,
führt mich durch alle Straßen, da ich
sonst irrte sehr.
Er reicht mir seine Hand, den Abend
und den Morgen
tut er mich wohl versorgen, wo ich
auch sei im Land.
Eine gesegnete Zeit wünscht Ihnen
Christian Domke